Europapolitiker Michael Gahler in Biebergemünd

„Russland wird nach dem Krieg vollends ausgelaugt sein“

Pressemitteilung der CDU Biebergemünd

Seit Ende Februar tobt in unmittelbarer Nähe, mitten in Europa, ein durch Russland ausgelöster Angriffskrieg auf die Ukraine. Mit diesem Krieg wurde nicht nur die vermeintliche europäische Friedensordnung verworfen, sondern führt zu spürbaren Veränderungen in dem Leben jedes einzelnen Menschen: Ukrainische Flüchtlinge in den Gemeinden, explodierende Gas- und Heizkosten und die Angst vor einem immer weiter expandierenden Krieg. In Biebergemünd referierte auf Einladung des hessischen Landtagsabgeordneten Michael Reul (CDU) und dem CDU-Gemeindeverband in Biebergemünd der außenpolitische Sprecher der christdemokratischen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Michael Gahler.

Seit 1999 ist Gahler Mitglied des Europäischen Parlaments (MdEP) und dort auch Mitglied des Auswärtigen Ausschusses. Seit nunmehr vielen Jahren pflegt Gahler viele Kontakte in die Ukraine und war erst im Januar, vor dem Angriffskrieg Russlands auf ukrainisches Staatsgebiet, in Charkiw und Kiew. Über seine persönlichen Erfahrungen mit dem ukrainischen Volk und den politischen Folgen von Seiten der Europäischen Union sprach Gahler über zwei Stunden im Beisein von über zwei Dutzend interessierten Bürgerinnen und Bürgern und Mitgliedern der örtlichen CDU im Dorfgemeinschaftshaus in Biebergemünd-Breitenborn, welches mit ukrainischen Flaggen und der Flagge der EU geschmückt war. Auch ukrainische Flüchtlinge, die im ehemaligen evangelischen Jugendheim in Bieber eine Bleibe finden konnten, kamen nach Breitenborn und erzählten zuweilen unter Tränen von ihren Erlebnissen. 

Bereits zu Beginn findet Gahler klare Worte: Der Angriffskrieg auf die Ukraine sei eine europäische und gar menschheitsgeschichtliche Zeitenwende und ein Bruch in der europäischen Friedensordnung, die mühsam zuerst nach 1945, zuletzt aber nach 1990 verstärkt aufgebaut wurde – losgelöst durch „den Kriegsverbrecher im Kreml“, so Gahler. Friedensverhandlungen sollten zu keinem Zeitpunkt kategorisch ausgeschlossen werden; jedoch von Seiten der Ukraine nur aus einer Position der Stärke herausgeführt werden. Um dies zu erreichen, appellierte Gahler an die Bundesregierung und insbesondere die SPD, die seit vielen Monaten die Lieferung schwerer Waffen behindere: „Dieser Krieg überfordert überparteilich ein Umdenken im bisherigen Handeln – insbesondere die Grünen haben hierbei ihre ideologische Brille abgesetzt und blicken mit Realismus auf die Situation. Wer hätte einmal gedacht, dass Anton Hofreiter (Grüne) federführend bei der Lieferung von schweren Waffen sein würde? Wir sollten Kampf- und Schützenpanzer liefern – so schnell und unbürokratisch wie möglich“, forderte Gahler. 

Auch ein Überblick über die europäischen Sanktionen und Maßnahmen gab Gahler an die anwesenden Interessierten: Ein inzwischen achtes Sanktionspaket wurde nun auf den Weg gebracht, ebenso die Sicherstellung von Getreideexporte aus der Ukraine. Als vorrangig symbolisches, aber wichtiges Signal sprach Gahler den Beitrittsstatus der Ukraine und Moldawien zur EU an: „Es setzt ein klares Zeichen Richtung Moskau: Die Ukraine orientiert sich am und möchte Teil des demokratischen Westens sein – und kein Anhängsel Russlands.“

Die Ukraine orientiert sich am und möchte Teil des demokratischen Westens sein – und kein Anhängsel Russlands

Michael Gahler MdEP

Gründe für Putins aggressives Verhalten wurden von Gahler ebenso schnell wie ausführlich dargelegt: Putin sehne sich nach den Grenzen der Sowjetunion wieder und fühle sich vor der westlichen Gesellschaftspolitik und dem gesellschaftlichen Leben in Europa bedroht. Um dem entgegenzutreten, würde Putin nach Einschätzung Gahlers auch nicht vor der Eingliederung Georgiens, Belarus und anderen baltischen Staaten zurückschrecken. In Zuge dessen fand Gahler auch klare und selbstkritische Worte zum Verhalten der eigenen Partei, der CDU, gegenüber Russland. So habe man seit den Maidan-Protesten und zuletzt bei der Annexion der Krim im Jahre 2014 sehen müssen, dass Putin keinerlei Interesse daran habe, das Völkerrecht zu achten, ein Europa des Friedens zu erhalten und eine auf gegenseitiges Vertrauen gestützte Vertrauensbasis mit dem Westen zu schließen. 

Am Anschluss hatten die Anwesenden die Möglichkeit, Fragen an den Außenpolitiker zu stellen: Fragen über die Angst eines Dritten Weltkrieges, den zunehmenden explodierenden Preisen und dem nicht zu unterschätzenden Einfluss Chinas belebten die Debatte in Breitenborn. Zum putinschen Russland sagte Gahler, dass dieser sein Land wirtschaftlich, moralisch und militärisch fertig mache; das Land werde nach dem Krieg vollends ausgelaugt sein – und am Wiederaufbau müsse die EU ein Interesse haben, um in Zukunft ohne Putin handelsorientiert, kulturell und friedenspolitisch koexistieren und zusammenarbeiten zu können. Diese Hilfe seien notwendig, da das Land vor dem Ruin stehe: Rund 75% des russischen Finanzsektors habe keinen Zugang um internationalen Zahlungsverkehr mehr, die Automobilproduktion bricht kontinuierlich weiter ein, westliche Unternehmen ziehen sich zunehmend aus dem Land zurück und müssen mit zehntausenden Entlassungen auskommen. Außerdem beklage Russland den Verlust von nunmehr über 50,000 toten Soldaten; die nun ausgesprochene Rekrutierung von Reservisten sieht Gahler als Eingeständnis Russlands für dessen Niederlage – und bedauert, dass diese reines Kanonenfutter seien. Die Proteste der russischen Bevölkerung seien zwar ein Hoffnungsschimmer, aber nur eine Momentaufnahme, da die große Mehrheit der russischen Bevölkerung keinerlei Zugang zu objektiven und nicht-staatseigenen Medien habe, da westliche Medien zensierte würden und die eigene Kriegspropaganda im vollen Zuge sein. 

Das Schreckensszenario eines Dritten Weltkrieges teile Gahler jedoch nicht; an einer solchen Eskalation könne Russland kein Interesse haben – letztlich besitze der freien Westen im erheblichen Maße über mehr Truppen, Waffen und auch Atomwaffen. Gahler: „Aus dem Angriffskrieg Russlands muss die Europäische Union nun aber auch Konsequenzen für ihr Umgang mit China ziehen. Die Abhängigkeit von Russland ist überschaubar – nicht aber die Abhängigkeit von China. China guckt sehr genau, wie die Europäer mit Russland vorgehen und zieht daraus seine eigenen Schlüsse – beispielsweise im Umgang mit Taiwan.“ Es sei deshalb im Interesse der EU und auch Deutschlands, klare rote Linien zu ziehen und die wirtschaftliche, technologische und digitale Abhängigkeit von China zurückzufahren und abzubinden. 

Nach dem Vortrag fesselte eine ukrainische Frau, die momentan in Bieber eine Unterkunft finden konnte, die anwesenden Besucher: Sie berichtete von ihrer Flucht mit ihrer Tochter und Enkelkind; ihr Mann und ihre Söhne sind in der Ukraine zurückgeblieben. Die Strom-, Wasser- und Nahversorgung in den Vororten von Mykolajiw im Süden der Ukraine ist abgebrochen, viele Hilfsgüter der Europäischen Union und Deutschlands kämen nicht durch. Täglich schlagen mehrere Hunderte Raketen und Bomben in den Städten ein, Krankenhäuser und Versorgungszentren würden gezielt beschossen werden und man berge überall tote Kinder, Frauen und Alte. Als die Frau von ihrer Familie, die in der Ukraine zurückblieb, sprach, stockte die Stimme immer wieder und die Stille im Saal nahm zu. Gahler versprach, im Anschluss an die Sitzung mit der Frau, den anwesenden Ehrenamtlichen der „Blauen Wutz“ – eine Bieberer Hilfsorganisation die ukrainischen Flüchtlinge versorgt und ihnen hilft – und einer Übersetzerin zu sprechen und Hilfsmöglichkeiten zu erörtern. 

Die anwesenden Besucherinnen und Besucher waren sich einig: Biebergemünd wird auch weiterhin soldarisch mit der Ukraine sein und den geflüchteten Familien beistehen und Hilfe anbieten. Nicole Heim, Vorsitzende der CDU-Biebergemünd sagte dazu: „Es war gut, von einem europäischen Außenpolitiker diese Lage besonnen und dennoch in der Analyse scharf erklärt zu bekommen. Ich bin mir sicher, dass dieser Abend den Anwesenden noch lange in Erinnerung bleiben wird.“

Michael Gahler (Mitte) mit der CDU-Gemeindeverbandsvorsitzenden Nicole Heim und Landtagsabgeordneter Michael Reul (Bild: Kinzig.News)

Auch die Gelnhäuser Neue Zeitung (GNZ) und Kinzig.News berichteten über unsere Veranstaltung. Die entsprechenden Artikel finden Sie folgend:

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